Mit Dortmunds bekanntestem Friseur Carsten Schmidt im Buon Gusto

Durch einen dunklen, nieseligen Herbstabend laufen wir im matten Schein der Laternen vor der evangelischen Kirche über die Piazza, also den Hombrucher Marktplatz. Etwas unscheinbar wirkt sie ja schon so von außen im herbstlichen Dunkel, die Trattoria Buon Gusto. Aber spätestens, wenn man die schweren, schwarzen Glitzervorhänge auseinandergeschoben hat, verwandelt sich der usselige Dortmunder Herbst in einen gemütlichen italienischen Abend. Zunächst betritt man den Wintergarten, der mit rotkarierten Tischdecken, Gartenstühlen und Heizstrahlern noch die Möglichkeit bietet, auch über den Winter ein bisschen Terrassengefühl zu bewahren. Wir durchqueren ihn heute jedoch und gelangen in den kürzlich ganz neu und schon fast mondän ausgebauten Restaurantteil. Im Zentrum der linken Seitenwand wartet ein Dschungel aus Grünpflanzen mit dem beleuchteten „Trattoria Buon Gusto“ – Schriftzug, links und rechts flankiert von Holzlamellenwänden, illuminierten Flaschenregalen und sehr stimmigen Wanddekorationselementen.
Mit Ibiza-Vibes und strumpflos unterwegs: Der „Hairgott“ erscheint
Der Vorhang teilt sich und unser Gast Carsten Schmidt kommt in Begleitung seines Freundes Heiko Wasser herein. Obwohl er selbst seinen Friseursalon in Dortmund-Kirchhörde schlicht CS – Hairstylist genannt hat, wird es uns später verraten, dass die Wortspielereien, für die seine Zunft bekannt ist, auch an ihm nicht vorübergingen. „Auf dem Oktoberfest hat mich mal einer angesprochen, ich sei doch der Hairgott aus Dortmund“, erzählt er uns, „zuerst fand ich das peinlich, aber eigentlich ist es wirklich lustig.“ Obwohl es draußen nur etwa zehn Grad hat, ist er barfuß in seinen Lederschuhen. Mit dem schicken Anzug inklusive Einstecktüchlein wirkt er bestens gelaunt und man sieht ihm nicht an, dass eine anstrengende Woche (immer von 9 bis 20 Uhr an der Schere) hinter ihm liegt. Es ist eine Ausnahme, dass er sich hier in Hombruch mit uns zum Essen trifft. „Normalerweise gehe ich nicht mehr in Restaurants, wo die Leute mich kennen. Da werde ich oft angesprochen wegen eines Termins oder wegen einer Arbeit von mir. Das möchte ich nicht“, gesteht er. Daher ist er sonst eher in Düsseldorf, St. Tropez oder auf Ibiza zu finden. Allerdings ist er auch dort kein Unbekannter mehr. Schmidt liebt es, an diesen Hotspots die Trendsetter zu beobachten. „Ich mag Essen mit Aussicht. Schöne Landschaften oder interessante Menschen. Ich klaue mit meinen Augen die neuen, angesagten Frisuren. Man kann alles immer wieder neu interpretieren.“ Nach einer sehr freundlichen Begrüßung serviert uns der aufmerksame Kellner eine tolle Vorspeisenplatte mit verschiedenen Leckereien. Vom zartrosa Vitello Tonnato mit ausgesucht cremiger Thunfischsauce über Bruschetta und Mozzarella mit besonders aromatischen Minitomätchen und scharfer italienischer Salami schlemmen wir uns durch bis zum gegrillten Gemüse. Ein Feuerwerk an Farben und Aromen macht Lust auf mehr. Und auch ein richtiges Feuerwerk bekommen wir – was im Restaurant für ein bisschen Aufsehen sorgt und Heiko Wasser dazu animiert, einfach ein „Happy Birthday“ anzustimmen, weil zwar niemand an unserem Tisch, aber sicher irgendwo auf der Welt gerade jemand Geburtstag hat. Denn der Pescaja Rosato Piemonte DOP le Flery liegt auf Eis und wird uns im transparenten Weinkühler mit Feuerwerksfontänen gebracht. Unser kleiner italienischer Urlaub bekommt einen Traumschiff-Moment.

v. l. Heiko Wasser, Carsten Schmidt
Eigentlich ist er „der zwölfte Mann auf dem Platz“
Wer sich bei Carsten Schmidt die Haare schön machen lässt, der hofft womöglich darauf, hier neben einem der BVB-Spieler frisiert zu werden. Die kommen zwar fast alle in den Kirchhörder Salon, jedoch meistens mit eigenen Terminen in privater Atmosphäre. Im Stadion ist Carsten Schmidt also kopftechnisch ganz vorne dabei und sorgt immer wieder für Diskussionsstoff. Ein gutes Beispiel dafür ist Marco Reuss, der vor zwei Jahren mit einer Art „HP-Baxter-Gedächtnisfrisur“ auflief. Doch für die krasse Blondierung gab es Gründe. Carsten Schmidt: „Ich habe das damals ganz bewusst mit Marco gemacht, weil sie ihn alle so kaputt gesprochen hatten. Wenn du so eine Typveränderung umsetzt, dann ist das wie Stecker ziehen und Stecker wieder reinstecken. Das macht etwas mit den Leuten. Und das hat auch was mit Marco gemacht.“ Daran, wie seine Augen leuchten, während er davon berichtet, sieht man, mit wieviel Leidenschaft er in seinem Beruf unterwegs ist. Dabei war er als Kind eigentlich nicht derjenige, der mit Puppen gespielt hat und an ihnen Frisuren probierte. „Meine Mutter war Dekorateurin, der Vater Schreinermeister. Ich begann mit 14 die Friseurlehre in Dortmund, wechselte aber dann nach Herdecke zu Udo Lineppe. Diese Ausbildung prägt mich bis heute. Es war wirklich manchmal sehr hart, aber es hat mir alles mitgegeben, um mir später meinen Erfolg zu erarbeiten. Ich glaube auch, mit der Lässigkeit, wie sie heute so verbreitet ist, kommt man nicht mehr ans Ziel. Keiner wird als Weltmeister geboren. Ich trainiere viel, auch wenn die anderen das oft gar nicht mitbekommen.“ Dabei hält ihm heute seine Frau Melanie, die die frisch Frisierten auf Wunsch gleich mit hochkarätiger Kosmetik im gemeinsamen Salon perfektioniert, den Rücken frei. „Ich bin sehr stolz auf mein ganzes Team.“, so Carsten, „Wir teilen einen gemeinsamen Geist, eine Philosophie, bei der der Kunde im Mittelpunkt steht. Es geht immer darum, die Persönlichkeit eines Menschen zu erkennen und sie dann mit dem passenden Styling zu unterstreichen.“ Dabei muss man kreativ sein. Carsten Schmidt glaubt, es ist kein Zufall, dass es in seiner Branche, wie auch in der Welt des Modedesigns, so viele Homosexuelle gibt. „Ich denke, sie haben besonders viel Sinn dafür, die Welt ein bisschen bunter zu machen.“ Vielleicht nicht gerade weltverändernd, aber bedeutsam für die kleine Welt des beschaulichen Vorortes Hombruch ist in jedem Fall unser Treffpunkt…
Das ehemalige City-Kino ist für viele ein erinnerungsträchtiger Ort
Als Fevzi Osmani (von allen nur Fugji genannt) im Jahr 2013 das einfache Bistro übernahm, hätte er sich vermutlich nicht träumen lassen, dass daraus so ein italienischer Wohlfühlort werden würde. Nach und nach bekamen die Räumlichkeiten eine Kernsanierung, es wurde ein Wintergarten angebaut und im Sommer gibt es jetzt einen tollen Freisitz auf der Piazza. Innenarchitekt von dem Ganzen war dabei tatsächlich Fugji selbst. Womit wieder einmal bewiesen wäre: Ein Gastronom kann einfach alles. Auch wenn das Restaurant auf den ersten Blick sehr schick und edel wirkt, muss erwähnt werden, dass es hier für jeden Geschmack und Geldbeutel das Passende gibt. Ob einfach mal zu einem günstigen Mittagstisch, einer Pizza oder zu einem sehr eleganten Abendessen mit entsprechenden Getränken, bei Fugji, Franky und ihrem Team ist man immer herzlich willkommen und gut aufgehoben. Als „primo“ servierte uns Franky, Fugjis Bruder, „Tagliatelle Tartufo“. Das sind frische Bandnudeln mit gebratenen Steinpilzen, Trüffel-Sahne-Soße und großzügig darüber gehobelten Trüffeln. Großzügig ist sowieso die ganze Portion. Glücklicherweise reden wir viel und essen daher ganz langsam. Carsten Schmidt hat eine aufmerksame, feine und sehr wertschätzende Art im Umgang mit anderen Menschen.


Von Distanz, Nähe und den Besonderheiten im Beruf des Friseurs
Für seinen Alltag als Coiffeur sind das die besten Eigenschaften. „Es liegt ja in der Natur der Sache, dass man den Menschen sehr schnell sehr nahekommt“, erklärt er uns, „Und ich habe großes Glück, diesen wunderbaren Job in einem so schönen Ambiente auszuüben. Sitzt dann jemand vor mir, gibt es sofort eine Vertrautheit. Ich kann die Leute auch mal am Ohr ziehen, ihnen über die Wange streicheln oder dergleichen. Jemand lässt sich auf mich ein, wenn er zu mir in den Salon kommt. Dafür weiß er aber genau, dass ich absolut authentisch bin und hier keine Show abziehe. Umgekehrt erfahre ich auch immer wieder eine schöne Wertschätzung. Mein Freund Heiko war mal vor vielen Jahren der erste, der morgens zu mir sagte ‚Danke, dass du dir für mich den Wecker heute eher gestellt hast‘. Obwohl es für mich selbstverständlich ist, hin und wieder auch mal eine halbe Stunde vor Ladenöffnung Haare zu schneiden, habe ich mich über diesen Satz von ihm sehr gefreut.“ Und genau diese Feinheiten sind es vermutlich auch, die dafür gesorgt haben, dass Schmidt heute ein „Promi-Friseur“ ist. Prominent wird, wer etwas Besonderes kann, wer mit Leidenschaft und aus vollster Überzeugung tut, was er tut. Und solche Menschen verstehen und finden einander, ganz automatisch. „Natürlich genieße ich es, wenn ich zum Beispiel mit meinem Freund Roman Weidenfeller auf der Wiesn in München bin und wir überall eingeladen werden und uns willkommen fühlen. Aber ich weiß auch, dass dahinter harte Arbeit steckt. Und harte Arbeit zahlt sich aus, die Leute belohnen einen dafür.“ Irgendwie sind Friseure darüber hinaus ja auch immer Stück weit Therapeut. Wenn man mit nassen Haaren im Salon sitzt und an einem gearbeitet wird, hat das oft den Effekt, dass man schneller von privaten Sorgen und Freuden erzählt, als man das in anderer Atmosphäre tun würde. Carsten Schmidt hört gerne zu. „Mich lenkt das manchmal auch von eigenen Problemen ab“, sagt er nachdenklich, „Ich habe ja am Tag so 15 bis 20 Kunden und die setzen mir schon manchmal auch ihren Rucksack auf – im übertragenen Sinne. Dann gehen sie wieder raus und lassen die Probleme bei mir. Ich verarbeite das, indem ich dann einfach alleine durch den Wald renne. Allerdings bin ich abends oft platt. Dann möchte ich nichts Großes mehr besprechen.“ Seine Tage im Salon sind lang und es gibt kaum Zeit, zwischendurch eben etwas zu essen. Umso mehr genießt er offenbar unseren gemeinsamen Abend mit der vielfältigen italienischen Küche.
Gegrilltes aus dem Meer an Geschichten aus dem haarigen Alltag
Als Hauptgang erreicht uns eine gigantische Platte mit gebratenen Drillingen und Gemüse, welches man aber zunächst gar nicht sieht, weil es großzügig und wunderschön mit Muscheln, Großgarnelen, Lachs, Pulpo und anderen gegrillten Meeresköstlichkeiten bedeckt ist. In der Mitte der Platte prangt eine auf liebenswerte Weise retro-anmutende Tomatenrose mit Basilikumblättchen. Gerahmt wird das Kunstwerk von Zucchini in Palmblattschnitt und Zitronenscheiben. Dazu wird uns jeweils ein Schälchen mit köstlichen Spaghetti „Aglio Olio e Peperoncino“ gereicht, falls jemand lieber Spaghetti zum gegrillten Fisch mag. Nebenbei beleuchten wir die typischen Begleitumstände des Friseur-Handwerks. Es ist ja beispielsweise durchaus verwunderlich, dass sich dieses „montags geschlossen“ so lange und konsequent gehalten hat. Denn jeder Friseur, der am Montag öffnet, würde wahrscheinlich ein sehr gutes Geschäft machen. „Da gibt es wirklich ein stilles Agreement, das über all die Zeit auch nie angetastet wurde“, bestätigt Carsten, „doch auch wir brauchen nach einer Fünf-Tage-Woche mal zwei Tage Luft.“ Und täuscht eigentlich der Eindruck, dass Frisuren immer wieder kommen und Friseure vielleicht nur neue Namen dafür erfinden? „Mal ganz unter uns… da ist was dran“, gesteht Carsten mit einem Augenzwinkern, „Natürlich hat sich die Frisurenmode in den letzten 40 Jahren immer wieder verändert. Aber eigentlich ist zum Beispiel die aktuelle Trendfrisur ‚Mullet‘ nichts anderes als der Vokuhila aus den 80er Jahren, aus dem Pagenkopf wurde ein Bob und statt einer Löwenmähe wollen die Leute ‚curtain bangs‘. Bei Männern setze ich grundsätzlich am liebsten auf einen buzzcut, da bin ich vielleicht der letzte Indianer… Immer gilt aber: Der Trend ist das, was einem am besten steht.“


Spektakulärster Haarschnitt? Beim DFB-Pokal!
Während wir das herrliche Essen sich etwas setzen lassen, berichtet uns Carsten noch von seinem wohl verrücktesten Erlebnis: „Mich hatte Michael Steinbrecher vom ZDF-Sportstudio angerufen. ‚Ich weiß, dass Sie immer die Fußballer schneiden. Ich habe da eine Idee, wir dürfen aber noch nicht drüber sprechen… wenn der BVB den DFB-Pokal gewinnt, hätte ich gerne, dass Sie jemandem, zum Beispiel Kevin Großkreutz, noch auf dem Platz die Haare schneiden.‘ Das war 2012.“ Funfact: Wo andere Friseure vor Glück gejubelt hätten, angesichts dieser enormen Publicity, fragte Carsten Schmidt zunächst, was er denn dafür bekäme. „Heute weiß ich auch nicht, wieso ich so cool reagieren konnte“, lacht er, „denn später ging mir dann schon mal kurz die Muffe…“ Das Salär ist in diesem Fall dann der Aufenthalt und persönliche Betreuung vor Ort und die Schmidts reisen nach Berlin. „Im Stadion hieß es zunächst, mit meinem Köfferchen voller Scheren würde ich da so nicht durchkommen“, erinnert er sich, „aber ein paar Anrufe später lief die Nummer und als wir tatsächlich gewonnen haben, machte ich mich auf den Weg zu den Spielern. Im Vorbeigehen fragte ich noch einen Security-Mann, wie viele Leute da jetzt eigentlich zugucken würden. ‚Zwölf Millionen‘ war die Antwort und mein Pulsschlag beschleunigte sich. Zum Glück verflog die Angst in dem Moment, als ich da meine Jungs mit ihren glücklichen Gesichtern sah. Letztendlich klappte alles und Kevin bekam seinen Irokesen. Das war wirklich ein unvergessliches Erlebnis.“ 41 Jahre Erfolgsgeschichte liegen inzwischen hinter Carsten Schmidt und sein Elan reicht noch für viele weitere. Unser gemeinsamer Abend neigt sich dem Ende. Zum Espresso bekommen wir noch eine Dessertvariation, bestehend aus Tiramisu, Schoko-Küchlein mit wirklich flüssigem Kern, Vanilleeis und Panacotta, die bedauerlicherweise so gut ist, dass wir tatsächlich auch alles nochmal probieren müssen. Uns haben die Gespräche sehr inspiriert. Dieser Mann ist tatsächlich nicht einfach ein „Promi-Friseur aus dem Nobelvorort Kirchhörde“, nein, er ist ein gewaltiges Stück gelebte Leidenschaft und zu hundert Prozent authentisch. Ein wenig traurig, dass unser kleiner, wunderbarer Urlaub vorbei ist, treten wir hinaus in den nieseligen, dunklen Dortmunder Abend. Allerdings getröstet von dem Gedanken, dass wir nun wissen wohin, wenn uns der Winterblues erwischt.

v. l. Heiko Wasser, XY, XY, Carsten Schmidt, XY

v. l. Silke Albrecht, XY, XY
Text: Daniela Prüter
Bilder: Silke Albrecht, Falk Bickel