Menschen

CTC: Mit dem Cartoonisten Michael Holtschulte im Rodenberg 1770

Es ist ungefähr so, als würde man mit einem Chinesen Tischtennis spielen (aus China kommen nämlich die Weltbesten in dieser Disziplin), wenn man Michael Holtschulte interviewt. Er ist wachsam und schnell, aufmerksam, und wohl auch in der Lage, Mikroexpressionen, kleinste Mimikveränderungen beim Gegenüber, zu entschlüsseln. Dadurch wird ein Gespräch mit ihm zum höchst unterhaltsamen Pingpong-Spiel. Dass er auch begeistern kann, wenn er spricht und nicht nur, wenn er im heimischen Büro etwas zeichnet, hat er selbst erst vor gar nicht so langer Zeit gemerkt. Seitdem aber ist er auf vielen Bühnen – mit einem eigenen Programm – und an der Seite von etablierten Künstlern wie Torsten Sträter, Harald Schmidt oder Oliver Kalkofe zu erleben. Besonders stolz sind wir vom Top Magazin, dass „unser“ Cartoonist kürzlich mit dem „Karikaturen-Oscar“, dem Karikaturenpreis der deutschen Zeitungen, ausgezeichnet wurde. Als er an diesem entspannten Nachmittag in Aplerbeck unserer Foodkolumnistin Silke Albrecht begegnet, sieht man ihn verstohlen am Handy nesteln. Kurze Zeit später die Auflösung: „Ach, du siehst genauso aus wie eine Freundin von mir. Das ist total verblüffend, ihr könntet Zwillinge sein! Hast du eine Schwester? Ich habe gerade schon heimlich ein Foto von dir gemacht und es ihr geschickt…“. Spoiler: Nein, die Person ist nicht Silkes Schwester, aber witzig, dass er sie heimlich fotografiert und das wenig später dann ganz freimütig bekennt. Genau so eine Authentizität ist wohl die Grundlage, wenn man einen Beruf ausübt, der eben auch die menschlichen Schwächen, die Besonderheiten und skurrilen Dinge unter die Lupe nimmt. Während Michael, der zusammen mit seiner hochschwangeren Frau Denise zum Termin erschienen ist (hier noch mal Spoiler: Mittlerweile ist ihr zweiter Sohn gut auf die Welt gekommen), sich auf unser Gespräch vorbereitet, erzählt uns Silke vom Hintergrund und der Geschichte des Restaurants Rodenberg 1770.

Michael Holtschulte und Ehefrau Denise

Bereits im Jahre 2010 erwarb die Familie Nowarre das historische Gebäude mit Blick auf das Wasserschloss Haus Rodenberg. Nach sehr langer, aufwändiger Umbauphase öffnete das Rodenberg 1770 im November 2023 seine Türen, um den geneigten Dortmunder mit einem Hauch von Sylt zu verwöhnen. So nämlich die Idee der Familie Nowarre: Ein wenig Sylt nach Dortmund zu bringen. Denn in der Brust der Dortmunder Familie schlagen zwei Herzen, das Dortmunder und das Sylter. Was liegt also näher, als beides zu verbinden? Und so entstand in dem alten Fachwerkhaus, dessen Zustand seinerzeit die meisten Menschen daran zweifeln ließ, dass man es noch einmal aufbauen könne, ein wunderschöner großer und sehr moderner Familien-Gastronomie-Betrieb. Das Rodenberg 1770 vereint unter einem Dach ein Fischrestaurant, eine Konditorei und eine Eismanufaktur. Und die ganze Familie arbeitet mit. 

Rodenberg 1770 Geschäftsführer: Philipp Nowarre

Betritt man das Restaurant von der Rodenbergstraße, so befindet man sich zuerst im „Lädchen“. Rechter Hand präsentiert die Torten- und Eistheke die hauseigenen Tortenkreationen und 12 selbst produzierten Sorten feinsten Konditoren-Eises. Am Tag unseres Besuches locken auch kunstvoll verzierte Petit Fours. Rundherum befinden sich in lindgrünen Regalen die selbst hergestellten Plätzchen, Aufstriche und Tees. Durch die Tür auf der linken Seite betritt man das großzügige Entrée des Restaurants. Von hier aus kann man wählen: Begibt man sich in die gemütlich-moderne Stube 1770? Hier sind die Stühle verschieden gemustert in Türkistönen gehalten, was wunderbar mit den alten Holzbalken harmoniert. Durch diese Balken wird der Raum natürlich unterbrochen und aufgeteilt, so dass er trotz seiner Größe Behaglichkeit ausstrahlt. Oder geht man vom „Lädchen“ aus rechts, in den lichtdurchfluteten Wintergarten? Hier dominieren die Farben dunkelgrün und goldgelb, edle Kristalllüster erhellen die mit Gepardenstoff bezogene Decke und die Fliesen im Art-Déco-Stil runden den goldenen 20er-Jahre-Eindruck ab. Bei schönem Wetter gelangt man direkt vom Wintergarten auf die großzügige, syltrosengesäumte Terrasse mit direktem Blick auf das Wasserschloss, Haus Rodenberg. Ebenfalls vom Entrée führt eine Treppe nach oben in die „Friesenstube“. Die Wände sind mit handbemalten Delfter Fliesen bestückt, antike Messingwandhalter, ehemals für Kerzen wurden elektrifiziert und geben dem niedrigen, urigen Raum mit den royalblauen Postern den letzten Schliff. Man bekommt unweigerlich Appetit auf Sylter Pannfisch oder eine Scholle Finkenwerder Art. Hier spielt auch eine von den tollen Aktionen, die Philipp Nowarre, der Geschäftsführer und Gastgeber, regelmäßig plant. Im August zum Beispiel wird der ehemalige Küchendirektor der Queen Mary II, Klaus Krämer, wieder ein tolles mehrgängiges Menü im Stile eines „Käptns-Dinner“ präsentieren. Diesmal wird es eine Reise um die Welt: Es wird je Kontinent einen repräsentativen Gang geben. Einen besseren Rahmen als die „Friesenstube“ kann man sich dafür kaum wünschen. 

Rodenberg 1770 Geschäftsführerin: Bettina Nowarre

Bei uns am Tisch hat das Pingpong schon begonnen. Zum Auftakt will ich wissen, ob denn sein dreijähriger Sohn wohl das Zeichentalent des Vaters geerbt hat. Ehefrau Denise guckt etwas gequält. „Das ist ein schwieriges Thema…“ Michael ergänzt: „Im Kindergarten haben sie mir aber gesagt, es sei normal, dass Jungs da eher nicht die Geduld für haben…“ Ich frage weiter, bemüht, auf ein positiveres Thema zu kommen: „Apropos Kindergarten… du hast ja deine erste Zeichnung mit 15 an die WAZ verkauft…“ Michael: „Quasi aus dem Kindergarten heraus? Mit 15?“ – Ich: „Das sollte jetzt eine Überleitung sein, so von wegen Kindheit und Jugend… aber ich hatte es etwas abgekürzt.“ Michael: „Super, von dir kann ich mir ja richtig was für den Podcast abgucken.“ Genau, den macht er ja auch noch. Allerdings kommen er und sein Kollege, der Cartoonzeichner Oli Hilbring dabei ganz ohne derartige „Überleitungen aus der Hölle“ aus. „Es geht darin um unser glamouröses Leben als Cartoonisten, Streaming, Musik und Affenpocken, beispielsweise. Nein im Ernst, wir wollten einen weiteren Podcast, den die Welt nicht braucht, an den Start bringen und haben dann gemerkt, dass es gut bei den Leuten ankommt, wenn wir darüber sprechen, was uns als Cartoonisten so bewegt.“ Im Mai 2022 ging „Zwei Stricher packen aus“ an den Start und läuft seitdem mit steigenden Followerzahlen. Michael Holtschulte merkte schon sehr früh, dass man mit Cartoons Geld verdienen kann. Trotzdem zog er aus Sicherheitsgründen zunächst mal sein Studium durch. „Ich habe dann bei einer Agentur in Düsseldorf gearbeitet, Coca Cola war damals ein Kunde von uns. In dieser Zeit hatte ich aber auch viele Workshops darüber, wie man seine Dinge graphisch richtig aufbereitet. Das hilft mir heute, wenn ich meine Zeichnungen an die Redaktionen schicke.“ Unter anderem erscheinen seine Bilder regelmäßig auf der Leser-Seite der Süddeutschen Zeitung. Da gibt es natürlich immer Deadlines und ihm werden aktuelle Themen vorgegeben. Schwierig, auf Kommando kreativ und schlagfertig zu sein, oder? „Ja und nein. Glücklicherweise habe ich ja einen Fundus von Entwürfen, der mich dann selbst wieder inspiriert. Es ist natürlich herausfordernd, wenn man zu einem ernsten, aktuellen Thema einen witzigen Cartoon zeichnen soll. Zuletzt, bei dem Beitrag, der dann später ausgezeichnet wurde, war es um eine gerade veröffentlichte Studie über rechtsextremes Gedankengut gegangen. Doch am Ende habe ich das gelöst.“ Inzwischen ist es Zeit für die Vorspeise geworden.

Während wir eine phantastische Erdbeerbowle genießen, berichtet uns Gastronom Philipp Nowarre von seinen Ideen: „Wir planen demnächst zwanglose After-Work-Events mit DJ. Und auch an unserem kulinarischen Angebot arbeiten wir: Unsere Meeresfrüchte-Étagère, die zurzeit noch doppelstöckig ist, bekommt einen dritten Stock“ erzählt er begeistert. Kein Wunder: Diese Meeresfrüchte-Étagère ist wirklich eine Show! Philipp Nowarre serviert sie wundervoll spektakulär mit einer Trockeneis-Nebelshow. Und sie ist auch zweistöckig schon sehr beeindruckend. Da hüpft das Hedonistenherz unserer Foodredaktion. Auf der oberen Ebene befinden sich perfekt zarte Pulpo-Arme, glasig gebratene Jakobsmuscheln und sanft gegarte Großgarnelen. Auf der unteren Ebene liegt feinstes Tuna-Sashimi-Blufin Balfegó, wie Philipp Nowarre uns wissen lässt. Balfegó gehört zu den wenigen Züchtern des Blufin-Thunfisches, die nachhaltige Züchtung und das Erzeugen bester Qualitäten zu ihrer Unternehmensphilosophie gemacht haben. Das hat nicht nur seinen Preis, sondern vor allem auch seinen Geschmack. Sehr hübsch angerichtet in Jacobsmuschelschalen auf Eis warten auch noch Thunfischtatar mit Avocadocreme, Lachstatar mit Avocadocreme und Lachssashimi mit Algensalat auf uns. Dazwischen in ihren eigenen Schalen frische Austern, eine Sauce Rouille, Sojasoße und Rotweinschalotten. Dazu probieren die Weintrinker unter uns den hauseigenen Terrassenwein Rosé, den sie vom Weingut Karl May in Rheinhessen beziehen. Frisch und fruchtig mit Aromen von Erd- und Himbeeren tanzt er auf der Zunge. Wenn man kurz die Augen schließt, wähnt man sich in Saint Tropez – halt stop! Natürlich in Kampen.

Stichwort „Kampen“ – wobei der Nazi-Schnösel-Skandal erst nach unserer Begegnung stattfand – bringt uns wieder zum Thema Rechtsextremismus. Michael Holtschulte hat sich viele Gedanken darüber gemacht: „Die Grenze des Sagbaren wird immer weiter verschoben, das sieht man auch in den Kommentarspalten, die Leute schämen sich ja für gar nichts mehr. Ich bin aber nicht so vermessen, zu glauben, dass man mit einer Karikatur etwas verändern könnte. Manchmal denke ich auch, dass meine Zeichnungen ohnehin nur in einer Filterblase und eben da eben von Leuten gesehen werden, die man darauf eigentlich gar nicht mehr hinweisen muss. Doch es wäre gut, wenn wir die anderen auch zurückgewinnen.“ Als der damals noch jugendliche Michael Holtschulte mit dem Zeichnen anfing, absolvierte er auch Praktika bei der WAZ. Heute stellt er fest, dass sich das Klima gegenüber der Presse verändert hat. „Wenn ich damals mit dem Fotografen von der Zeitung unterwegs war, da haben sich die Leute über sein Erscheinen gefreut. Das ist heute anders. Und früher konnte man Nazis an Bomberjacke und Springerstiefeln erkennen. Aber dieses Klischee wird mittlerweile ja gar nicht mehr bedient. Auf der Klaviatur des Popularismus wird heute sehr gekonnt gespielt.“ Was meint er denn, wie könnte man dem Schwarzweißdenken etwas entgegensetzen? „Ich glaube, das wird sehr lange dauern, weil man da bei der Bildung ansetzen muss. Aber die Aufmerksamkeitsspanne wird gerade immer kürzer, auch durch die Tiktokisierung.“ Ist das nicht eine besondere Herausforderung für ihn? „Eine größere Verdichtung als einen Cartoon, reduziert auf ein Bild und einen Text, gibt es ja kaum. Und es ist immer gleich: Die einen fühlen sich bestätigt, die anderen angegriffen. Auf der anderen Seite ist es aber auch für den Algorithmus gut, wenn viele negative Kommentare kommen, dann sehen es auch mehr Leute.“ 

Unser Gast entscheidet sich für die Variante „Frühling“ und damit für die wirklich beeindruckende Maischolle Finkenwerder Art. Das ist eine ganze Maischolle mit ausgelassenen Speckwürfelchen, Bratkartoffeln und einer Sauciere voller ausgelassener Butter. Michael Holtschulte hat ordentlich Respekt vor der Aufgabe, mit den Gräten adäquat umzugehen, meistert sie jedoch heldenhaft. Dabei bleiben wir im Gespräch über Kritik aus dem Netz und wie er damit umgeht. In der Vergangenheit hatte er zeitweise unter einer Depression gelitten. Und sogar Menschen mit einer sehr stabilen Psyche verzweifeln ja manchmal an dem grenzenlosen Hass, den sie im Netz erfahren. Doch seine Krankheit ist überwunden und Michael hat einen intelligenten Weg gefunden, mit den „Hatern“ umzugehen: „Bei negativen Kommentaren schreibe ich gerne drunter ‚Vielen Dank, jetzt habe ich wieder neues Material für meine Live-Show‘. Denn da lese ich manchmal die dümmsten Einträge vor. Das macht die Leute wütend. Dann löschen sie meist ganz schnell. Sie wollen ja nicht, dass ich mit ihrer Kritik noch Geld verdiene.“ Einen Ausschnitt aus seiner Live-Show präsentierte er Ende April noch auf einer Vernissage zur Ausstellung seiner Zeichnungen. Unter anderem schilderte er einen typischen Dialog, wie ihn die Vertreter seiner Zunft immer wieder erleben. „Sie sind also Comic-Zeichner?“ – „Ich bin Cartoonzeichner.“ – „Und kann man davon leben, dass man Comics zeichnet?“ – „Cartoons.“ – „Machen Sie dann später aus unserem Gespräch hier auch einen Cartoon?“ – „Nein. Einen Comic.“ Bevor wir tiefer in die Thematik einsteigen, wie man komplizierte Sachverhalte treffend in einem Bild unterbringt, genießen wir die anderen beiden kulinarischen Jahreszeiten: Sehr sommerlich war der liebevoll gegarte Zitronen-Lachs auf jungem Spinat, kleinen Polentaschnitteneckchen und cremigem Weißweinschaum. Ebenso frisch und leicht erfreute die Rotbarbe auf cremigem Limettenrisotto mit luftigem Schaum und Kresse den schon auf Sommer eingestellten Gaumen. Das Steinbuttfilet mit dem luxuriösen Champagnerkraut und den Nussbutterkartoffeln erfüllt ganzjährig höchste Genießeransprüche und ist durchaus auch im Weihnachtsmenü gut aufgehoben. 

Unser Herausgeber, der an diesem Tag als Fotograf dabei ist, kommt gerade von einem Raucherausflug vor der Tür zurück und berichtet, er sei da mit einer Dame ins Gespräch gekommen, hätte von unserem Interview erzählt und als er dann den Namen „Holtschulte“ fallen ließ, habe sie geantwortet: „Michael Holtschulte? Tot aber lustig! Den kenne ich“. Michael glaubt ihm das nicht. Doch genau so hat es sich zugetragen und das ist ein schönes Beispiel dafür, dass das Leben immer die schlechtesten – weil so unwirklich klingenden – Geschichten schreibt. „Tot aber lustig“ führt einen übrigens durch die Googlesuche ganz direkt auf die Webseite von Holtschulte. Die Cartoons mit dem Sensenmann sind zu seinem Markenzeichen geworden. „Es hat sich damals eher zufällig ergeben, dass der Tod zu meinem häufigsten Protagonisten wurde. Seit ich 2004 das erste Buch darüber veröffentlichte, wurde es zum roten Faden.“ Kommen eigentlich die Bilder immer automatisch in seinen Kopf, wenn er sich mit einem Thema beschäftigt? Und was macht den perfekten Cartoon aus? „Das Bild ist zuerst da, dann kommen nur noch Korrekturschlaufen. Wir haben eine Leserichtung hier, von links nach rechts, anders als im Osten. So ist das auch mit dem Bildaufbau: Das Wort, was es erst witzig macht, steht als letztes in der Sprechblase. Aber auch das Gesamtbild muss richtig gelesen werden. Es kommt auf Timing und Pacing an.“ Wie beim Schneiden eines Films – woher diese englischen Begriffe nämlich kommen – geht es also auch hier darum, einzelne Elemente exakt zu platzieren. Auf unserem Tisch wird derweil auch etwas Neues platziert. Wer kocht eigentlich zuhause bei Holtschultes? Die werdende Mutter, weswegen sie sich schon ein bisschen vor der Zeit im Wochenbett fürchtet, wenn sie nicht so einsatzfähig ist. „Aber ich friere gerade sehr viel im Vorrat ein“, verrät sie mit einem Augenzwinkern. Bevor wir uns dem Dessert zuwenden, aber noch ein anderes Thema, das ebenfalls mit „D“ anfängt…

So hat Michael Holtschulte mal beschrieben, wie es ihm ging, bevor er erkannte, dass er an einer Depression litt. Nach der Erkenntnis konnte er das mit Hilfe einer Therapeutin überwinden. Diese Motten sind natürlich eine Analogie zu Schmetterlingen, die wir sprichwörtlich in uns fühlen, wenn wir glücklich verliebt sind. Kurt Krömer und Torsten Sträter sind zwei prominente Beispiele für Comedians, die depressiv waren, Harald Schmidt unterstützt ebenfalls die Deutsche Stiftung Depressionshilfe… Muss man mal sehr traurig gewesen sein, um komisch zu werden? „Ich weiß gar nicht, ob es generell Komiker häufiger betrifft“, so Holtschulte nachdenklich, „aber wir haben eben eine Öffentlichkeit. Menschen mit ganz normalen Berufen, die leiden genauso, aber sie erzählen nicht öffentlich davon. Dieses Thema gehört aber nach draußen, weil es schädlich ist, wenn wir das tabuisiert halten.“ Mittlerweile gibt es auch „Vom Buffet der guten Laune nehm ich die sauren Gurken“, ein Buch von mehreren Autoren, das diesem schweren Thema auf humorvolle und sehr authentische Weise gerecht wird. Eine unsichtbare Krankheit wird sichtbar und bekommt damit fast schon eine Leichtigkeit, wird in unserem Bewusstsein das, was sie längst schon im Hintergrund ist: Durchaus normal, denn es gibt ja so viele Betroffene. Für Michael Holtschulte war es sofort klar, dass er sich daran beteiligen würde, als die Anfrage kam. Er selbst hatte lange Zeit auch versucht, mit unendlich viel Arbeit vor seinen eigenen trüben Gedanken zu fliehen. Heute ist das glücklicherweise eine Geschichte aus der Vergangenheit, sollte das Problem noch einmal auftauchen, weiß er, damit umzugehen. Welche Bilder beschreiben eigentlich eine Depression? „Ich habe schon viele Cartoons darüber gezeichnet, besonders gut gefällt mir aber unter anderem ein Kinderbuch für Erwachsene, das ich mal gesehen habe. Da ist die Depression als schwarzer Hund dargestellt, der den Menschen begleitet. Das halte ich für sehr treffend.“ Und damit ist das Thema aber durch, denn an dieser Stelle leuchtet das Gesicht unserer Foodkolumnistin förmlich auf, eine ganze Wolke von Glück scheint um sie herum zu sein, es ist Zeit fürs Dessert. 

Als „kleine Auswahl zum Durchprobieren“ hatte Philipp Nowarre die Nachspeise anmoderiert. So servierte er also einen fluffig-knusprigen Kaiserschmarrn mit hausgemachtem Vanilleeis, Zwetschgenröster und Apfelmus, einen „Friesenjung“, das ist ein Eisbecher bestehend aus Salzkaramell- und Brownie-Eis, Karamellsauce und Sahne, dann einen Eisbecher „Anno 1770“ mit Crème brûlée Eis, flambiertem Zucker, Schokoladensauce und Sahne und einem „Erdbeerbecher“, bestehend aus Bourbon Vanilleeis, Erdbeereis, Erdbeeren, Sahne und Schokoladensauce. Tatsächlich sei jedem Eisliebhaber angeraten, beim Hauptgericht auf genügend Restkapazitäten zu achten, um sich diesen Genuss nicht entgehen zu lassen. Zum Schluss noch ein paar Funfacts um Michael Holtschulte. Viele Kreative werden ja derzeit von allen Seiten gefragt, ob sie die Konkurrenz einer KI fürchteten. „Das wollen sie von mir auch immer wissen“, so Holtschulte, „aber die Antwort ist klar: Überhaupt keine Gefahr! Ich habe schon mit ChatGPT über Witzigkeit diskutiert und das Gespräch ist währenddessen abgestürzt, also habe ich gewonnen. Es sieht alles seelenlos aus, man kann es benutzen, aber es kann nicht witzig sein.“ Wie bereitet er seinen Sohn auf das spätere Leben vor? „Ich war mit ihm kürzlich auf einem Heavy-Metal-Konzert speziell für Kinder. Damit versuche ich, seinen späteren Musikgeschmack schon mal sanft vorzuprogrammieren…“ Und was tut ein Cartoonist eigentlich, wenn er bestimmte Dinge nicht so gut malen kann, zum Beispiel Nasen, Ohren oder Füße? „Im Cartoonbereich kriege ich alles aufs Blatt, was ich haben möchte. Aber das ist ja auch mein Stil. Und abgesehen davon: Wenn man nicht gut Füße kann, könnte man doch jemanden zeichnen, der knieabwärts im Gebüsch steht.“ An dieser Stelle sind wir mehr als satt und ich schalte das Aufnahmegerät aus, mit dem Hinweis „Ist aus, von jetzt an bitte nichts Witziges mehr sagen, wäre ja schade drum.“ Das gelingt ihm jedoch nicht.

Cartoon von Michael Holtschulte

Text: Daniela Prüter, Silke Albrecht, Bilder: Silke Albrecht, Falk Bickel